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„Die Umstellung auf Bio ist ein dickes Brett“

Im Landkreis Groß-Gerau sollen 80 Prozent der Lebensmittel-Versorgung und der Schulversorgung „bio“ sein. Im Interview erklärt der Erste Kreisbeigeordnete Walter Astheimer (Bündnis 90/Die Grünen), was die Hindernisse sind und warum Geduld bei der Umstellung so wichtig ist.

Warum will der Landkreis die Bio-Landwirtschaft fördern? Wie wichtig ist sie für den Landkreis Groß-Gerau? Der Landkreis Groß-Gerau hat sich ganz wichtige Ziele gesetzt, unter anderem haben wir einen Klimanotstand beschlossen, unter dem wir jetzt verstärkt arbeiten - mit eigenem Personal und natürlich mit intensiveren Bemühungen, Klimaschutz und Klimaanpassung auf den Weg zu bringen. Ein wichtiger Teil davon ist natürlich die Förderung der Bio-Landwirtschaft, die uns seit vielen Jahren unter den Nägeln brennt. Deshalb arbeiten wir auch in der Ökomodell-Region Süd von Anfang an mit. Die Biolandwirtschaft ist die einzige Antwort auf die Agrarkrise, in der wir gerade stecken, da sie wirklich nachhaltig mit unserem Naturhaushalt umgehen kann.

Was geschieht hier vor Ort konkret? Es ist im Kreis Groß-Gerau schwierig, eine entsprechende Agrarumstellung auf den Weg zu bekommen. Wir haben zum Beispiel ganz viele Sonderkulturen, die hier im Kreis angebaut werden. Wir liegen mitten im Rhein-Main-Gebiet, mit guten Böden. Aber Pestizid- und Düngemitteleinsatz sind die Voraussetzung, um im konventionellen Anbau hohe Erträge zu erzielen. Damit einher geht die Belastung des Grundwassers mit Stickstoff und Phosphat. Pestizideintrag in Boden und Grundwasser findet trotz gestiegener Anforderungen seitens des Gesetzgebers immer noch statt. Auch die stetige Zunahme der Folienverwendung macht uns Sorgen.

Was erhoffen Sie sich angesichts dieser Situation von der Bio-Landwirtschaft? Sie ist für uns ein Ausweg, den Naturhaushalt einigermaßen wieder auf den Weg zu bekommen, d.h. deutlich weniger stark zu belasten. Was meines Erachtens noch ein ganz wichtiger Punkt ist: Hier im Rhein-Main-Gebiet wird „bio“ nachgefragt. Das heißt, die Verbraucher*innen setzen auf Bioprodukte. Das Problem dabei: Sie kommen aktuell nicht immer aus der regionalen Landwirtschaft vor der Haustür, sondern oft aus dem Ausland. Regional meint ja nicht nur das Rhein-Main-Gebiet, sondern auch Gebiete darüber hinaus, insgesamt Hessen, Deutschland. Wir müssen dazu übergehen, dass wir in Südhessen regionale - das hat mit Klimaschutz viel zu tun – Bio-Produkte erzeugen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir dann auch Abnehmer*innen hier hätten, auch zu vernünftigen, kostendeckenden Preisen.

Und wie wollen Sie genau vorgehen? Mit welchen Mitteln und Instrumenten? Die Umstellung auf Bio ist ein dickes Brett. Dazu braucht es auch eine Landwirtschaft, die den Weg mitgeht. Die größte Chance besteht meines Erachtens bei jungen Landwirt*innen, die im Moment vor der Frage stehen, wie sie in Zukunft ihre Höfe hier in der Region aufstellen. Und somit vielleicht auch eine größere Zufriedenheit im Beruf zu erreichen, denn die Landwirtschaft steht ja wirklich vor großen Herausforderungen - und auch in der Kritik. Ich glaube aber, wir haben im Moment eine gute Zeit, um einen Umstieg durch Beratung, Best Practice-Beispiele und Verbesserungen in der Vermarktung hinzubekommen.

Wie gelingt die Überzeugungsarbeit? Auf „Bio“ umzusteigen, bedeutet vielleicht erstmal einen Einnahmeverlust über zwei, drei Jahre. Das ist schwierig, denn die Umstellung muss sich für die Landwirt*innen auch rechnen. Die Nutzung dahin ausgerichteter Förderprogramme von Bund und Land können dabei helfen. Viele signalisieren ja, dass sie bereit seien umzusteigen. Und das müssen wir gemeinsam durch Information der Verbraucher*innen, der Landwirt*innen und der Betriebe, die die Produkte vertreiben, auf den Weg bekommen.

Wie viele Bio-Flächen gibt es denn derzeit im Landkreis Groß-Gerau? Wir haben zehn Ökobetriebe von insgesamt 244 im Kreis. Da gibt es noch einen großen Nachholbedarf. Wir haben guten Kontakt zur Landwirtschaft hier, aber keine eigene Landwirtschaftsverwaltung. Die befindet sich in Darmstadt-Dieburg. Von daher fehlt die Fachkompetenz hier im Haus, was die Beratung der Landwirt*innen anbetrifft.

Planen Sie, die Kompetenz zu sich zu holen, ins Landratsamt? Nein, die Verteilung der Aufgaben in der Landwirtschaftsverwaltung auf bestimmte Kreise ist im Zuge der Kommunalisierung ab 2005 entschieden worden. Wir pflegen seit vielen Jahren eine sehr gute interkommunale Zusammenarbeit, die auch sehr gut aufgestellt ist, mit dem Amt in Darmstadt-Dieburg. Wir haben einfach zu wenige Landwirte im Kreis Groß-Gerau, um hier nochmal eine eigene Landwirtschaftsverwaltung aufzubauen. Das bedeutet ja auch immer Vorhaltung von sehr spezifischem Fachwissen und Personal. Wichtiger ist: Das Land Hessen hat mit den Modellregionen einen guten Schritt getan, um auf „bio“ umzustellen. Wir brauchen da die Kompetenz des Landes, die muss noch stärker werden, was den Bereich anbetrifft.

Wie ist Ihre genaue Zielmarke hier im Kreis? Wir haben im Kreistag einen Beschluss gefasst, dass 80 Prozent unserer im Kreis Groß-Gerau verantwortbaren Gemeinschaftsverpflegung wie Kantine und Schulversorgung bis 2030 aus Bio-Lebensmitteln bestehen. Fördermittel und Beratungsleistungen für die Caterer stehen zur Verfügung. Das ist auch ein Anreiz für die Landwirt*innen, Bio zu produzieren. Ich muss dafür sorgen, dass vor Ort verbraucht wird. Und dann hoffen wir, dass der Landwirtschaft auch über die Verbraucher*innen aufgezeigt wird: Hier wird verbraucht, was ihr produziert. Und geht bitte diesen Weg mit. Dies trägt indirekt zum großen Landesziel von 25 % Ökoanbaufläche im Jahr 2025 bei.

Sie haben es aber ja in der Tat nicht ganz einfach. Im Hessischen Ried ernten ja nicht nur die kleinen Bauern aus der Region. Genau! Wir haben große Industriebetriebe, die hier Lebensmittel produzieren. Gemüsebauern, die nicht hier ihren Standort haben, die etwa in Norddeutschland ihr Hauptunternehmen haben und hier nur produzieren, mit 1000 Hektar und mehr. Viele Saisonarbeitskräfte und Unterstützung durch einen Maschinenpark, der deutlich andere Dimensionen aufweist. Auch da suchen wir das Gespräch, um vielleicht zehn oder 20 Prozent der Anbaufläche auf „bio“ umzustellen. Das ginge, auch bei den vielen Sonderkulturen.

Wie steht es denn um den Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft hier vor Ort? Unser Kreis weist hohe Stickstoff- und Phosphat-Werte im Boden wie im Wasser auf. Es wurden in vielen Bereichen des Kreises Groß-Gerau dieses Jahr, im Frühjahr schon, Folien eingesetzt. Extrem große Flächen, das heißt Hitzebildung, großflächig keine Versickerung, was Regen anbetrifft. Das bedeutet aber auch, dass Lebensraum für wildlebende Tierarten besonders in der für das Überleben einer Art so wichtigen Brut- und Setzzeit stetig kleiner wird. Flächen müssen deshalb anders bewirtschaftet werden. Auch der oberirdische Herbizid- und Pestizideinsatz und Düngemitteleinsatz, das muss zurückgehen insgesamt, um unser Grund- und Oberflächenwasser nicht weiter zu belasten.

Es gibt ja auch Wassermangel im Ried. Kann die Biolandwirtschaft da Abhilfe schaffen, und wenn ja, wie? Wir sind begünstigt durch den Rhein, der im Westen des Kreises Groß-Gerau entlangläuft. Wir bereiten Rheinwasser auf, versickern es über die Bodenpassage und stabilisieren damit den Grundwasserpegel. Damit wird sichergestellt, dass genug Grundwasser für uns und unser Umland, also Frankfurt und die Region und v.a. für die landwirtschaftliche Beregnung verfügbar ist. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, durch die neue Art der „Bio“-Bewirtschaftung Wasser länger im Boden zu halten und zu speichern. Dies gelingt über eine Anreicherung von Humus im Oberboden und damit Co2-Bindung. Auch durch eine andere Pflanzfolge kann ich Co2 länger im Boden speichern. Das ist ja nicht nur gut für die Landwirtschaft, sondern auch für das Klima. So habe ich im Sommer nicht so hohe Austrocknungs- und Wärmegrade.

Welche Ideen gibt es denn, um gegen die gesunkenen Grundwasserpegel im Ried vorzugehen?

Im Moment ist der Ausbau der Rheinwasserinfiltration in der Prüfung des Landes Hessen. Aber auch gezieltere Beregnung und sparsamerer Wassereinsatz sind aktuelle Ansätze. Wir müssen einen anderen Weg der Bewässerung finden, auch da müssen wir die Landwirtschaft mitnehmen. Wenn ich sehe, dass tagsüber bei Temperaturen um 35 Grad der Regner läuft - das sind alles solche Sachen. Und wir müssen wieder dahin kommen, was wir in den 1990er Jahren noch gemacht haben: die Bevölkerung auffordern, sparsam mit Wasser umzugehen.

Da gab es mal ein größeres Bewusstsein...

Ja! Gründächer, horizontale und vertikale Begrünung, das war in den 1980er und 1990er Jahren ein großes Thema. Das war alles schon mal da. Wir haben ganz gezielt Wassersparmaßnahmen auch hier im Kreis Groß-Gerau vorangebracht. Wir hatten damals einen Kreishaushalt, der Regenwassernutzung gefördert hat und unterstützt hat. Und das ist alles in den 2000ern herausgenommen worden, weil man glaubte, genug Wasser zu haben. Das ist ganzheitlich zu sehen. Die Förderung des Ökoanbaus und ein guter Umgang mit dem Grundwasser und mit dem Naturhaushalt fördert die Biodiversität und führt zu einer lebenswerteren Lebenswelt für die Bevölkerung. Weshalb wir Sie als Bürger*innen, Konsument*innen und Unternehmer*innen mitnehmen und animieren müssen, auch Ihren Teil dazu beizutragen.

 

Interview: Torsten Schäfer