Wie sind Sie denn dazu gekommen, hier hinterm Deich in Biebesheim auf die Walnuss zu setzen und neu in das Geschäft einzusteigen?
Flasche: Wir sind beide Forstwissenschaftler mit langjähriger internationaler Erfahrung in der Umsetzung von Projekten zur Entwicklung des ländlichen Raumes, der Land- und Forstwirtschaft. In vielen Entwicklungsländern sehen wir heute schon die Folgen des Klimawandels für den ländlichen Raum. Insbesondere die Landwirtschaft muss sich der Trockenheit, Bodenerosion, Bodenversalzung und anderen Herausforderungen stellen. Schon vor unserer Rückkehr nach Deutschland haben wir erkannt, dass uns auch hier dieselben Probleme treffen werden. Wir wollten mit der Gründung eines landwirtschaftlichen Betriebes zeigen, dass die Landwirtschaft auch in Deutschland andere Wege gehen kann.
Straub: Die Walnuss in geeigneten Sorten ist vergleichsweise trockenheitstolerant und ermöglicht eine hohe Wertschöpfung. Ein Agroforstsystem auf der Basis extensiver Walnussplantagen erschien uns als eine interessante Alternative zu herkömmlichen Betriebskonzepten. Zudem werden viele Tausend Tonnen Walnüsse jedes Jahr importiert, obwohl sich die natürlichen Rahmenbedingungen in weiten Teilen Deutschlands für den professionellen Anbau der Walnuss eignen. Da ich aus Biebesheim stamme und Walnüsse von Natur aus auch in unserer Region gute Erträge liefern, lag es nahe, es hier zu versuchen.
Wann ging es los?
Flasche: Wir haben den Betrieb über zehn Jahre Stück für Stück aufgebaut, anfangs als Hobby, dann im Nebenerwerb. Mit den Jahren haben wir festgestellt, dass die Nachfrage nach Walnüssen und Walnussprodukten aus regionaler Produktion enorm hoch ist. Mit viel Glück konnten wir auch schon vor Jahrzehnten angelegte Walnusswiesen auf der rhein-hessischen Seite pachten und der Betrieb konnte so schnell wachsen. 2019 beschlossen wir dann, in den Vollerwerb zu gehen; es war vom Arbeitsaufwand her auch gar nicht mehr anders möglich. Wir produzieren Walnussbäume, bauen Walnüsse an und veredeln die Walnuss zu hochwertigen Lebensmitteln, wie Walnussöl und Walnusspesto und beraten in ganz Deutschland und auch in Österreich Landwirte im Walnussanbau.
Straub: Derzeit bauen wir auf mehr als 12 Hektar verschiedene Walnusssorten an. Dabei handelt es sich um Ertragssorten, die den Zufallssämlingen oder Gartensorten in der Qualität und Eignung zur weiteren Verarbeitung deutlich überlegen sind. Sie eignen sich auch für den extensiven Bioanbau und liefern sehr gute Erträge. Unser Sortiment umfasst vorwiegend deutsche und französische Walnuss-Sorten, aber auch einzelne Sorten aus Ländern wie Tschechien, Bulgarien, den USA, Österreich und Ungarn. Die Vielfalt der Walnusssorten trägt letztlich auch zum Erhalt der Agrobiodiversität im Bereich der Walnüsse bei. Seit 2021 sind wir Mitglied der Deutschen Genbank Obst und werden im Erhalt der Sorten zukünftig auch wissenschaftlich begleitet.
Wer sind denn die Kunden?
Flasche: Landwirte sind Kunden in unserer Baumschule. Oft welche, bei denen es Generationenwechsel gibt. Aber auch Bauern, die im Rahmen des EU-Greenings einen Teil ihrer Anbaufläche extensivieren oder ungünstig zugeschnittene oder weit entfernte Schläge nutzen, um EU-Auflagen zu erfüllen und mit Walnüssen gute Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. Zu unseren Kunden zählen aber auch Obstbauern, die sich neu ausrichten, europaweit. Obst- und Gartenbauvereine haben die Walnuss auch schon entdeckt, um ihre Streuobstwiesen etwas vielfältiger und trockenheitsresistenter zu gestalten. Veredelte Walnussbäume werden nur halb so hoch wie ein Walnuss-Sämling. Daher passen veredelte Walnussbäume, die zum Schalenobst zählen, sehr gut auf Streuobstwiesen in Kombination mit Kern- und Steinobst.
Was ist das Besondere an der Walnuss und dem Ansatz hier?
Flasche: Landwirtschaft, die auf regelmäßiger Bewässerung von der Saat bis zur Ernte basiert, kann auf Dauer nicht funktionieren. Das ist aber die Realität für viele Ackerbauern im Hessischen Ried. Wir wollen auch zeigen, dass es anders geht. Dass man auch mit einer Dauerkultur wie der Walnuss und einer über die Walnuss in Schale hinausreichende Wertschöpfungskette eine ökonomisch nachhaltige Landwirtschaft betreiben kann.
Straub: Unsere Region ist gekennzeichnet von zunehmender Flächenversiegelung und einer seit Jahrzehnten anhaltenden und forcierten Grundwasserabsenkung. Damit verbunden sind die Gefährdung der Wälder im Hessischen Ried und eine massive Störung der kleinen Wasserkreisläufe. Kurz: Das Ried vertrocknet, Baumreihen und Feldgehölze sterben ab. Wir haben in den letzten Jahren gefühlt 90% aller Birken in unserer Landschaft verloren. Ohne Wasser überlebt auch ein Pioniergehölz wie die Birke nicht. Die Walnuss ist eine Obstkultur, die dieser Entwicklung kleinklimatischer Veränderung entgegenwirkt und den Standortveränderungen sehr lange trotzen kann, länger als die meisten anderen landwirtschaftlichen Kulturen in unserer Region.
Wo genau liegen die Wasserprobleme hier im Hessischen Ried? Sie haben sich damit eingehend befasst.
Straub: Wasserqualität und Wasserverfügbarkeit sind zentrale Themen in unserer Region. Häufig wird nur auf die Versorgung der Metropole Frankfurt mit Trinkwasser geschaut. Im Hessischen Ried wie auch im Vogelsberg liegen die Wasserspeicher für Frankfurt. Diese Vorräte werden zunehmend ausgebeutet. Wir glauben nicht an eine nachhaltige Nutzung dieser Wasservorräte – allen Beteuerungen von Hessenwasser zum Trotz. Das Problem der Wasserknappheit wird uns zeitverzögert treffen. Die Ausweisung von Wohn- und Gewerbegebieten ist zudem immer auch mit einer Grundwasserabsenkung verbunden. Die ökologische Landwirtschaft hat ein Problem mit der Verseuchung von Grundwasser durch Chemikalien, die unter anderem aus gewerblicher Produktion stammen. Im Ergebnis kann Brunnenwasser für die Landwirtschaft in einigen Fällen nicht genutzt werden, da die Schadstoffbelastung zu hoch ist und somit die erzeugten Lebensmittel nicht in Bioqualität angeboten werden können. Das ist für landwirtschaftliche Betriebe eine Existenzbedrohung. Zugleich sehen wir nicht, dass die Politik in unserer Region diese Themen adäquat aufgreift. Selbst der erst kürzlich gegründete Landschaftspflegeverband in Groß-Gerau befasst sich mehr mit dem Schutz von Feldhamstern und Rebhühnern, als die Herausforderungen der Zukunft anzugehen.
Wie wollen Sie das Wasserproblem im Hessischen Ried anderen Landwirt*Innen, aber auch politischen Entscheidungsträgern klarmachen?
Flasche: Nehmen Sie mal Bilder von der Macchia in Spanien; so könnte das Ried, aber auch der Odenwald in 50 Jahren aussehen. Vielleicht haben wir auch nur 30 Jahre, bis unsere Landschaft so aussieht. Im Europa der gemäßigten Klimazone gibt es heute öde, entwaldete und bodenerodierte Gegenden, die vor Jahrzehnten noch blühende Landschaften waren. Immer war dies mit zerstörerischen Eingriffen des Menschen in den Naturhaushalt verbunden. Der Zerstörung kann man in unserer Region regelrecht zuschauen, so schnell degeneriert die Landschaft durch Flächenversiegelung. Der verbleibende Rest kann die bisherigen Wasserkreisläufe nicht mehr aufrechterhalten.
Was wären Schritte, um die Probleme anzugehen?
Straub: Zunächst müssen die politischen Entscheidungsträger in unserem Land verstehen, an welchem Abgrund wir uns bewegen. Bislang dominiert das vom letzten Hessischen Ministerpräsidenten geprägte Bild des wirtschaftlichen Herzmuskels, den unsere Region für Hessen und Deutschland darstellt. Dieser Herzmuskel wird aber aufhören zu schlagen, wenn die natürlichen Lebensgrundlagen wie sauberes Wasser, fruchtbarer, gesunder Boden, eine struktur- und artenreiche Landschaft, gesunde und klimastabile Wälder zerstört sind. Die Flächenversiegelung muss gestoppt werden, das abgesenkte Grundwasser großflächig wieder aufgespiegelt werden. Hier steht die Erhaltung der Wälder, aber auch die Rehabilitierung der für das Ried typischen Vernässungsflächen im Vordergrund. Auch die Renaturierung von Mooren wäre übrigens ein Beitrag zur Förderung von CO2-Senken. Bestehende Gewerbegebiete müssen nicht aussehen wie Betonwüsten mit schamhaften Randbepflanzungen. Hier ist eine Durchgrünung erforderlich, ebenso wie die Pflanzung von Alleen entlang von Feldwegen, Straßen und sonstigen linearen Strukturen in der Landschaft. Die Beschattung und Abkühlung der Landschaft ist die Grundlage für deren Erhalt.
Flasche: Letztlich muss auch die Landwirtschaft einsehen, dass sie nicht nur Leidtragende, sondern auch Mitverursacherin der Landschaftszerstörung ist. Agroforstsysteme, wie sie schon in anderen Teilen Deutschlands erprobt werden, könnten auch hier wieder zur Rehabilitierung der zerstörten Landschaft beitragen. Wir müssen über die gesamte Landnutzung in der Region debattieren, der große Maßstab muss es sein.
Interview: Torsten Schäfer