Alnatura

Wo die Wände aus Lehm sind

Der neue Alnatura-Campus in Darmstadt soll ein Zentrum für Nachhaltigkeit, ökologische Landwirtschaft und Bio-Ernährung werden. Ein Porträt.

Von Robin T. Fenner

Imposant ist das braune Haus auf dem Alnatura-Campus, das auf einer riesigen Grünfläche, etwas abseits von Darmstadt, thront. Es wirkt ruhend. Eigentlich ungewöhnlich für ein Bürogebäude, die für eher kalt, trist und irgendwo in der Innenstadt umherstehen. Selbst an einem verregneten Tag, mit Windböen gibt das Bürogebäude einen das Gefühl der Entspannung. Als wäre es für die Ewigkeit gebaut.

Nachhaltigkeit kommt einem in den Sinn. Ist ja auch klar. Beim Namen Alnatura denkt jeder sofort an Bio-Produkte aus der Region. Das erdgleiche Braun der Seitenwände komplettiert diesen Eindruck. Allein die Fensterfront, die die Eingangsseite bis zur Dachspitze kleidet, wirkt diesem Bild etwas entgegen. Allerdings haben die Besucher des Campus so die Chance, in das Bürogebäude hinein zu schauen und sie sind auch eingeladen, das Gebäude von innen zu begutachten. Nur leider nicht in der aktuellen Corona-Situation.

Zu eng in Bickenbach

Ein Grund für den Bau des Campus waren die beengten Arbeitsverhältnisse im ca. 13 Kilometer südlichen Bickenbach. Da das Unternehmen immer größer wurde, mussten sie sich sogar im benachbarten Alsbach Bürogebäude mieten. Geschäftsführer Prof. Dr. Götz E. Rehn war der Meinung, dass ein größeres, gemeinsames Firmengebäude als Hauptzentrale gebraucht werde. Und so kam ihm 2013 die Idee für den Campus.

Er wolle eine Zentrale schaffen, die gleichzeitig vom Unternehmen genutzt werden kann und teilweise als öffentliche Erlebnisstätte dienen soll. 2014 fingen die Bauarbeiten im Stadtteil Darmstadt-West auf dem ehemaligen Militärgelände an. 2019 zog die Alnatura Produktions- und Handels GmbH endgültig in den Campus ein. Das Bürogebäude bietet Platz für mehr als 400 Mitarbeiter und dem vegetarischen Bio-Restaurant Tibits.

Waldorf-Kindergarten auf Ex-Militärgelände

Auf dem rund 55.000 Quadratmeter großen Grundstück werden unter anderem Gärten angeboten, die von Privatleuten und Mitarbeitern sowie von Schulen gemietet werden können. Zusätzlich gibt es einen Waldorfkindergarten, in der bis zu 88 Kinder mit einem naturnahem Erziehungskonzept betreut werden. Hier lernen die nachkommenden Generationen was Nachhaltigkeit bedeutet. Hinzu kommt eine Streuobstwiese, die in Kooperation mit Bio Säfte Völkel entstanden ist sowie Kräuterbeete mit Weleda. Dadurch haben diese Partnerunternehmen einen engeren Bezug zu Alnatura und dem Gelände an sich. Darüber hinaus bietet der Campus in der Regel Bienenseminare und einen Bio-Backkurs an. Geplant ist auch noch ein Bauernmarkt mit Bio-Bauern.

Dass der Campus nachhaltig ist, zeigt sich vor allem im Arbeitsalltag und in der Bauweise des Bürogebäudes. Durch die Lehmwände hat das Gebäude etwas Natürliches. Wenn das Haus nicht mehr stehen sollte, kann ein Großteil des Materials der Natur zurückgegeben werden. Die Wände haben aber noch einen weiteren Vorteil. Sie dämpfen hervorragend den Schall. Deswegen gibt es kaum verschließbare Räume. So entsteht eine Art Open Office, in der sich jeder dort hinsetzen darf, wo er gerne arbeiten möchte. Am besten immer mit seiner Abteilung zusammen. Die Mitarbeiter haben alle ihre eigenen Schließfächer, wo sie ihre Arbeitsmaterialien aufbewahren. Und am Ende des Tages räumt jeder seinen Arbeitsplatz wieder weg und das ganze Büro ist über Nacht aufgeräumt. Auch wenn es seitens der Angestellten anfangs etwas Skepsis gab, sind sie mittlerweile alle von dem Konzept überzeugt.

Garten-Stimmung hilft bei Corona-Isolation

Auch den Alnatura Campus hat Corona fest im Griff. So mussten die meisten Mitarbeiter ins Home Office wechseln. Da das Unternehmen schon vorher mit MS Teams gearbeitet hat, war die Umstellung hier nicht ganz so schwer. Weil so gut wie alle Veranstaltungen und Führungen für Schulklassen vor Ort abgesagt werden, haben die Angestellten wenigstens die Möglichkeit, ihre Gärten auf dem Campus auf Vordermann zu bringen. So päppeln sie den Campus optisch und sich selbst seelisch auf.

Während des ersten Lockdowns haben viele sogar in den Märkten ausgeholfen. Das Restaurant muss um seine Existenz bangen. Es kann nur noch Essen mitgeben, anstelle es wie gewohnt vor Ort zu servieren. Der Kindergarten ist wie in ganz Hessen nur noch mit einer Notbesetzung offen und nimmt Kinder nur noch im äußersten Notfall auf.

Preisträger für Nachhaltige Architektur

Leider darf mit der Pandemie niemand mehr ins Bürogebäude oder auf das Gelände, außer einige wenige Mitarbeiter. So hat der Campus aktuell keine Besucher - und die verpassen etwas: Das Gelände ist sehr weitläufig und lädt zum Spazieren gehen ein, mit einem schönen Teich in der Mitte. Dahinter steht der elegant gebaute Kindergarten mit Klettergerüsten. Im hinteren Teil erstreckt sich die riesige Gartenanlage und einen Spazierpfad am Ende des Geländes, mit kleineren Gärten drum herum. Am Campus grenzen im Norden vereinzelt Bürogebäude an. Aber auch verlassene Häuserreihen im Osten.

Im Südwesten gibt es zwei Sportvereine und ein Wald, der bis nach Griesheim reicht.

Der Alnatura Campus ist nicht nur das größte Bürogebäude aus Lehm, sondern auch aktueller Preisträger in der Kategorie “Deutscher Nachhaltigkeitspreis Architektur”. Bereits 2011 und 2016 gewann das Unternehmen den Deutschen Nachhaltigkeitspreis. 2020 Jahr wurde Alnatura für den “Hessen-Champion” ausgezeichnet in der Kategorie Jobmotor. So konnte das Unternehmen 233 neue Mitarbeiter einstellen, allein 83 in Hessen und die meisten davon am Campus selbst.